04.02.2022, von Carl-Philipp Frank

Social Media wider die Menschheit

Werte Freunde der Humanität, es ist wieder einmal Tiradenzeit. Von Zeit zu Zeit muss man einfach manchmal schimpfen. Heute trifft es die Sozialen Medien. Social Media, wie der moderne Anglizist sie nennt. Eigentlich muss ich hier gar nichts mehr schreiben, denn bestimmt hat jeder von euch schon einmal schlechte Erfahrungen mit Social Media gemacht, sei es Facebook, Twitter oder was auch immer. Aber der Tag wäre ja langweilig ohne einen Konsumhelden-Beitrag, und ich hätte sonst nichts zu tun.

Personen und Persönlichkeiten

Zuerst ein kurzer Blick in die Vergangenheit. Am 16. Juni 2010 laden Kevin Systrom und Mike Krieger in Kalifornien die ersten Bilder auf ihre neu entwickelte App Instagram (ein Kofferwort aus instant camera und Telegram hoch. Im Oktober wird sie in Apples App Store veröffentlicht. Haben die beiden Entwickler zu diesem Zeitpunkt geahnt, welchen Einfluss auf die Gesellschaft ihre Kreation jemals haben würde? Wahrscheinlich nicht. Sie konnten unmöglich voraussehen, dass die paar Zeilen Code, die sie geschrieben hatten, für viele zu einer Art Parallelrealität werden würde. Ich habe beispielsweise einen Bekannten, nennen wir ihn hier Jonas, der es nicht gerade leicht hat im Leben. Alleinerziehend, drogen- und alkoholabhängig, arbeitslos, depressiv – das ganze Paket. Auf Instagram zeigt er sich aber als anderer Mensch: Glücklich, mit alternierenden Beziehungen, dickes Auto, ständig Party.

Der echte Jonas und der online-Jonas sind zwei komplett verschiedene Menschen. Das ist an sich ja nicht verwerflich, höchstens fragwürdig. Aber es führt uns zu einem reellen Problem: Wir wissen nie, wer wirklich hinter dem Profil steckt. Im Internet ist die eigene Anonymität meist gesichert, und das ist auch gut so. Ein Website-Betreiber muss und soll nicht wissen, wer genau seine Seite besucht. Aber auf Social Media, wo man vermeintlich die “echten” Personen sieht, ist dieses anonym sein problematisch. Stichwort Catfishing. Es gibt Aufrufe zu Ausweiskontrollen im Netz, aber die finde ich, so ganz unter uns, doof. Mir wäre es lieber, wenn die Netzwerke in Prävention investieren würden. Zum Beispiel Crashkurse zum erkennen von Fake-Profilen. Meine Grossmutter wäre sicher dankbar.

Narzissus 2022

Der Fall Jonas wirft aber noch eine andere Frage auf. Wieso gibt der junge Mann sich im Netz so draufgängerisch und cool? Wieso tun wir alle das überhaupt? Ich kenne niemanden, der absichtlich die schlechten Fotos hochlädt. Man zeigt sich nur von der besten Seite. Überall. Auf Instagram kann Jonas zeigen, wie geil sein neues Auto aussieht. Beatrice hält auf Twitter eine flammende Rede darüber, weshalb man unbedingt der BLM-Bewegung spenden sollte; sie selber spendet allerdings nichts. Und Noah postet auf Facebook, dass er gerade im besten und teuersten Restaurant der Stadt gespeist hat. Social Media bringt in uns allen den Narzissus (oder die Narzissa) heraus. Man ist immer schöner, besser, toller, cooler, schlauer als alle anderen. Somit setzen wir unsere Erwartungen an die anderen, aber auch an uns komplett falsch. Ständig gleichen sich vor allem die jüngeren Generationen mit den Stars ab, wollen so sein wie sie. Dabei werden sie nie ohne Photoshop und Operation die Hüfte einer Kylie Jenner haben. Auch Dysmorphophobie (Body Dysmorhpia) ist eine dieser Social Media-Krankheiten.

Was haben Reddit, Seife und der Immobilienmärkte gemeinsam?

Genau, sie bilden Blasen. Auf Reddit, Twitter und co. sind es allerdings spezielle: Filterblasen nämlich. Ich muss darüber gar nicht gross schreiben, denn zu dem Thema haben wir bereits einen sehr interessanten Artikel von meiner Kollegin Séverine Blumenthal. Lest einfach den. Ich kann nur sagen: Sie sind äusserst uncool.

So, bevor ihr anderen Tätigkeiten nachgeht, folgt uns doch unbedingt auf Instagram und Twitter. Im ernst.