Im Bild ist der Kühlraum von Dinnair zu sehen. Es stapeln sich grüne Plastikboxen bis an die Decke, schön geordnet.
27.09.2022, von Carl-Philipp Frank

Den Kampf zu Recht gewonnen — Wie Dinnair sich behauptete

Hochwertige, aus Schweizer Rohstoffen in der Schweiz hergestellte Fertigprodukte, tiefgekühlt im Offenverkauf. Klingt wie ein Traum. War es auch – jener von Peter Zihlmann – , und er wäre um ein Haar gescheitert. Doch erst einmal von vorne:

Dinnair startete mit dem aktuellen Konzept im Jahr 2019, ein Dreivierteljahr vor dem Lockdown. Die Idee des StartUps war es, tiefgekühlte Lebensmittel fixfertig im Offenverkauf direkt aus der Tiefkühltruhe an den Kunden zu bringen. Dies tat er unter anderem in Zusammenarbeit mit Jucker Farm, die ihre Hofläden kurzerhand mit den Tiefkühltruhen bestückte. Es lief gut; und im März und April 2020 erreichte die Nachfrage nach seinen Produkten einen ersten Höhepunkt. Hofläden und Alternativen zum Einkaufen im Grossverteiler hatten Hochkonjunktur. Gekocht wurde zu Hause – die Leute begaben sich ins Homeoffice und waren froh um Zihlmanns Leckerbissen, die man rasch zubereiten konnte. Nur neue Kühltruhen gab es zu wenige, was dem Drive jedoch keinen Abbruch tat. Man arbeitete einfach mit dem, was man hatte. Zum Beispiel wurde auf dem Römerhof – einer der ersten wichtigen Standorte für Dinnair –  einfach eine ausgediente Kühltruhe reaktiviert. Hauptsache, man konnte irgendwie arbeiten. Der Start war also geglückt, und die Nachfrage blieb hoch.

Doch dann kam der Hammer. Nur zwei Monate nach dem Corona-Hoch wurde dem blutjungen Startup komplett der Wind aus den Segeln genommen. Dinnair wurde wegen einer rechtlichen Grundsatzfrage gegroundet. Bei einer Lebensmittelkontrolle an einem der Verkaufspunkte bei der Jucker Farm AG gab es eine Beanstandung.  Das Lebensmittelinspektorat machte auf eine Verordnung des EDI aufmerksam: „Tiefgefrorene Lebensmittel müssen vorverpackt sein“. Boom! Von einem Tag auf den anderen löste sich der USP («Unique Selling Proposition», Alleinstellungsmerkmal) des jungen Startups in Luft auf.  Und dies trotz fachkundiger Beratung, die Zihlmann im Konzipierungsprozess mit einbezogen hatte. Auch Fachleute hatten den relevanten Passus übersehen.

Wie rettet man sich vor dem Gesetz?

Also: zurück auf Feld Eins. Zihlmann blieb nichts anderes übrig, als eine Lösung zu finden. In unzähligen Nachtschichten verpackte er – mit tatkräftiger Unterstützung seiner Partnerin – alle Produkte brav in Säckli. Viele Säckli. Zehntausende. Eine Arbeit, die ihm in diesem Moment bestimmt keine Freude machte. Das konnte es doch einfach nicht sein. Die Sinnhaftigkeit seines kleinen Unternehmens war weg. Es musste doch einen Weg geben, um die Idee doch noch zu retten.

Zihlmann erzählt: «Also haben wir uns auf den politischen Weg gemacht. Überall, auch in der Politik, gab es doch Bestrebungen, wo immer möglich neue Wege zu finden, um Abfall zu reduzieren. Wir machten uns auf die Suche nach Verbündeten, um auf diesen Irrsinn aufmerksam zu machen. Doch selbst von thematisch affinen Politikern kam die Antwort: das Vorhaben ist chancenlos, hier unterstehen wir den Vorschriften der EU, und eine Sondergenehmigung in der Schweiz hätte keine Chance.»

Besonders schwer war für Zihlmann zu ertragen, dass niemand sagen konnte, was aus lebensmittelhygienischer Sicht wirklich das Problem am Offenverkauf war. Über ein Jahr lang hatte er mit Dinnair bewiesen, dass es geht: «Viele Fachleute und Inspektoren aus den unterschiedlichsten Kantonen haben unser Konzept begutachtet und hielten es für gut und umsetzbar. Beurteilt nach gesundem Menschenverstand gab es von all diesen Fachleuten keine einzige Beanstandung.» Zihlmann hat auf diese Frage nie eine Antwort erhalten.

Dank Einladung von Nationalrat Andri Silberschmidt konnte das Dinnair-Team sogar vor Ort mitfiebernWas war das eigentlich? Dieser Stolperstein? War das jetzt ein Paradebeispiel für eine Verordnung, die aus paragraphischem Eifer aufgestellt wurde, in der Praxis aber keinen Sinn ergibt? Fündig punkto politischen Supports wurde Zihlmann schlussendlich in Andri Silberschmidt. Für den jungen FDP-Nationalrat war das eine gute Gelegenheit, einen chancenreichen Vorstoss rasch umzusetzen. Denn die Vorgabe lief diametral in eine andere Richtung als zahlreiche aktuelle politische Bemühungen zur Reduktion von Abfall. Und tatsächlich: Man rannte offensichtlich offene Türen damit ein. Für politische Verhältnisse war das Anliegen entsprechend zackig abgehakt. Am 30. November 2020 reichte Silberschmidt die Motion “Ressourcenverschleiss bei Verpackungen verkleinern, Verkauf von tiefgekühlten Lebensmitteln ohne Vorverpackung erlauben” ein. Bereits Ende Januar 2021 empfahl der Bundesrat das Anliegen zur Annahme, im März wurde es im Nationalrat angenommen. Entsprechend hoffnungsvoll erwartete man den letzten Termin im Juni, an dem die Motion auch noch im Ständerat angenommen werden sollte. Dank Einladung von Nationalrat Andri Silberschmidt konnte das Dinnair-Team sogar vor Ort mitfiebern und live miterleben, wie das Anliegen auch hier relativ unwidersprochen durchgewinkt wurde. «Die Momente auf der Zuschauerterrasse im Ständeratssaal bleiben unvergessen…», schwelgt Peter Zihlmann noch heute.

Bald darf Dinnair seine Produkte wieder wie ursprünglich vorgesehen und ohne Säckli offen verkaufen. Etwas Geduld braucht es noch, bis die Hygieneverordnung entsprechend angepasst ist. Denn nach der Annahme einer Motion hat der Bund zwei Jahre Zeit, das Anliegen umzusetzen. «Spätestens im Sommer 2023 gibt es aber kein Halten mehr», sagt Zihlmann. Dann wird sein Traum endlich Realität. Und was lernen wir aus der Geschichte? Manchmal lohnt es sich, sich für etwas einzusetzen, das halt einfach sinnvoll ist. Allen Paragraphen zum Trotz.