19.03.2021, von Schweizerisches Konsumentenforum

Spitalzusatzversicherungsmarkt im Dornröschenschlaf

Im August 2018 hat der Internetvergleichsdienst Comparis mit einer Studie auf den zu trägen Markt der Krankenzusatzversicherungen aufmerksam gemacht. Gut zwei Jahre später bestätigt die Beratungsfirma McKinsey die alarmierenden Erkenntnisse von Comparis. Die Versicherer reagieren hinter den Kulissen verärgert, auch auf die Finanzmarktaufsicht, anstatt mit innovativen Zusatzversicherungsprodukten neue Kunden zu gewinnen. Gute Krankenversicherungsprodukte entstehen aber nur, wenn Krankenversicherer mit den medizinischen Leistungserbringern zusammenarbeiten.

In den letzten zehn Jahren haben die Prämieneinnahmen der Spitalzusatzversicherungen in der Schweiz laut McKinsey jährlich um 1,4 Prozent zugenommen, die ausbezahlten Leistungen nur um jeweils 0,3 Prozent. Was nach einem guten Geschäft für die Krankenversicherer aussieht, ist für die Versicherten immer weniger interessant. Die Prämien steigen, weil mit dem Durchschnittsalter der Versicherten auch die versicherten Risiken steigen. Weil immer mehr Operationen ambulant durchgeführt werden und es dafür keine Zusatzversicherungen gibt, steigt das Schadenvolumen weniger stark als das Prämienvolumen. Dazu kommt, dass der Zusatzversicherungsmarkt trotz hoher Zahlungsbereitschaft für Gesundheitsleistungen ausserhalb der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP bzw. Grundversicherung) zu schrumpfen droht, weil es an innovativen Zusatzversicherungsprodukten fehlt. Von den total 80 Milliarden Franken Gesundheitsausgaben zahlten die Schweizer 2016 direkt aus dem eigenen Portemonnaie 24 Milliarden Franken. Davon entfielen bloss 5,4 Milliarden Franken auf für die Versicherer hochprofitable Zusatzversicherungsleistungen.

Die Finanzmarktaufsicht (Finma) erhöht den Druck auf die Versicherer. Sie verlangt von den Versicherern transparente Verträge mit den Spitälern und Ärzten. In diesen Verträgen müssen die versicherten Leistungen klarer definiert und von den Pflichtleistungen zu Lasten der Grundversicherung abgegrenzt werden. Zudem wirft die Finma den Versicherern vor, den Spitälern und Ärzten für ungenügend definierte Leistungen zu viel zu bezahlen, und droht ihnen, Versicherungsprodukte bzw. Prämien mit intransparenten und zu teuren versicherten Leistungen nicht mehr zu genehmigen. Die Begründung der Finma für diese Interventionen ist der Schutz der Versicherten vor Missbrauch und der fehlenden Marktmacht der Versicherten, die ab 50 den Anbieter kaum mehr wechseln können. Die Interventionen der Finma wird die Margen der Spitäler, Ärzte und Versicherer im Zusatzversicherungsgeschäft schmälern, den Anstieg der Zusatzversicherungsprämien bremsen, aber gleichzeitig die Grundversicherungsprämien in die Höhe treiben.

Das Ende einer sozialen Quersubventionierung in den Spitälern: Öffentliche und private Spitäler stopfen mit dem Ertrag der halbprivaten und privaten Abteilungen die Löcher ihrer allgemeinen Abteilungen und Ambulatorien oder finanzieren damit einen Teil der Lehre und Forschung. Wenn nun die Finma für Spitalzusatzversicherungen Kostenwahrheit fordert, führt das zu einer Kostensteigerung der mit Steuern und Grundversicherungsprämien finanzierten medizinischen Pflichtleistungen gemäss Krankenversicherungsgesetz (KVG).

Das Ende der sehr hohen Arzthonorare: Die Finma verlangt von den Versicherern, nur noch für tatsächliche Mehrleistungen zu bezahlen, die mit den Fallpauschalen nicht abgegolten sind. Das zwingt die Versicherer, in den Verträgen mit den Spitälern und Belegärzten die Mehrleistungen genau zu definieren und nicht mehr jeden geforderten Tarif zu akzeptieren. Damit geraten auch die Zusatzhonorare der angestellten Chefärzte und der Belegärzte unter Druck.

Das Ende der klassischen halbprivaten und privaten Spitalzusatzversicherungen: Durch den Druck der Finma auf die Margen und Prämien sowie durch die Ambulantisierung der Akutmedizin geraten die klassischen Spitalzusatzversicherungen immer mehr unter Druck. Mit günstigeren Flex-Versicherungen entscheiden die Versicherten von Fall zu Fall für oder gegen ein Upgrade in die halbprivate oder private Abteilung und sparten über die Jahre mehrere Zehntausend Franken. Und allfällige Mehrleistungen bei ambulanten Operationen sind mit wenigen Ausnahmen nicht versichert.
Seit 2012 die neue Spitalfinanzierung im KVG in Kraft gesetzt worden ist, sind alle Versuche von Ärzten, Spitälern und Versicherern gescheitert, mit gemeinsamen Anstrengungen die nicht durch Sozialversicherungen gedeckten Leistungen zu definieren, egal ob diese ambulant oder stationär erbracht werden, und damit einen Rahmen für innovative Zusatzversicherungen zu schaffen. Bund und Kantone haben den Innovationsdruck mit den ambulanten Listen erhöht und gleichzeitig die rasche Einführung der einheitlichen Finanzierung der ambulanten und stationären Medizin verzögert. Die Finma hat den Versichern nun gedroht, Zusatzversicherungsprodukte und die Prämien nicht mehr zu genehmigen, wenn die versicherten Leistungen nicht transparenter und günstiger werden. Wenn die Versicherer also nicht innovative Zusatzversicherungsprodukte für junge und alte Versicherte schaffen, werden die klassischen Spitalzusatzversicherungen für die alten Versicherten massiv teurer, weil junge Versicherte in diesen Kollektiven fehlen.

Innovative Zusatzversicherungsprodukte

Die Nachfrage nach Zusatzversicherungsprodukten ist weiterhin vorhanden, wie die 2018 von Comparis publizierte Studie zeigt. Ein noch so grosser Versicherer schafft es nicht allein, mit einem einzigen, neuen Zusatzversicherungsprodukt den Markt aufzumischen, wie das Helsana mit Primeo zeigt. Auch durch den Druck der Finma entsteht kein einziges, neues und innovatives Zusatzversicherungsprodukt. Weltweit haben es Logistikunternehmen geschafft, den Warentransport mit einheitlichen Containernormen effizienter, schneller und kostengünstiger zu machen. Eine Art Containernorm braucht auch die nächste Generation der Krankenzusatzversicherungen in der Schweiz. Diese muss von medizinischen Leistungserbringern und Krankenversicherer gemeinsam geschaffen werden und Spielraum für Innovation und Wettbewerb schaffen. Einige Ideen sind in der McKinsey-Studie skizziert.

Akutmedizin: Was medizinisch notwendig ist, deckt die Grundversicherung ab. Zusatzversicherungsprodukte müssen Mehrleistungen abdecken, die den Versicherten mehr Sicherheit, Flexibilität und Komfort wünschen. Das kann eine auf Qualitätsdaten gestützte Koordination aller Untersuchungen und Behandlungen sein. Auf für zusätzliche, innovative Untersuchungen und Behandlungen, Medikamente und Medizinaltechnikprodukte, die es noch nicht in den Pflichtleistungskatalog der Grundversicherung geschafft haben, besteht eine Nachfrage. Dazu gehört auch das Recht auf eine stationäre Behandlung ohne medizinische Notwendigkeit. Der dritte Bereich besteht aus mehr Flexibilität bei der Terminwahl inkl. Terminbuchung und Organisation sämtlicher Transporte. Auch eine modernere und luxuriösere Infrastruktur für ambulante und stationäre Leistungen, welche über die Anforderungen für wirksame, zweckmässige und wirtschaftliche Medizin zu Lasten der Grundversicherung hinausgeht, besteht eine hohe Zahlungsbereitschaft.

 Pflege: Sehr viel Potenzial gibt es auch bei den Pflegeversicherungsprodukten. Heute fristen Pflegeversicherungen in der Schweiz absolutes Nischendasein, obwohl dieser Bereich am stärksten wächst.

Flexiblerer Zugang zu Zusatzversicherungsprodukten: Der Fortschritt in der genetischen Forschung ermöglicht den Versicherten hinsichtlich ihrer Krankheitsrisiken einen Informationsvorsprung gegenüber den Versicherern, verpflichtet die Versicherten aber auch, bekannte genetische Informationen, auf dem Gesundheitsfragebogen zu deklarieren. Die Risikoselektion erschwert älteren Versicherten den Zugang zu Zusatzversicherungsprodukten. Beides erschwert den Versicherern den Zugang zu neuen Kunden. Anstatt schlechteren Risiken Zusatzversicherungsprodukte zu verweigern oder Vorbehalte zu machen, sollten Versicherer schlechteren Risiken den Beitritt mit einer risikogerechten Einkaufssumme ermöglichen und ihnen Prämienrabatte gewähren, wenn sie ihre bekannten und unbekannten Krankheitsrisiken durch gesundheitsförderndes Verhalten reduzieren. Der Weg von der Risikoselektion zur Risikoreduktion ist insbesondere durch das Teilen digitaler Gesundheitsdaten gekoppelt mit individualisierter Medizin vielversprechend.

Auch für Bonusversicherungen oder für die Kombination von Risiko- und Sparanteil ist der Spielraum bei den Zusatzversicherungen im Vergleich zur Grundversicherung gross genug. Er muss nur genutzt werden.

Felix Schneuwly
kf-Fachbeirat / comparis