15.03.2022, von Schweizerisches Konsumentenforum

Storytelling und visuelle Kommunikation am Beispiel von Luisa Spagnoli

Wie so viele englische Begriffe, ist auch «storytelling» zu einem globalen Ausdruck in der Kommunikation- und Marketingbranche geworden. Buchstäblich bedeutet der Begriff nichts anderes als «Geschichten erzählen». Marken sind im heutigen Marktumfeld konzeptionell erarbeitete Persönlichkeiten, die ihre Geschichten erzählen mit dem Ziel, beim Kunden ein Gefühl für das Angebot und dessen Anbieter hervorzurufen, welches ihn veranlasst, mit der Marke in Beziehung zu treten. Der Kunde soll heute schliesslich wissen, mit wem er es und warum zu tun hat. Klingt simpel, geradezu einleuchtend – nicht wahr? Nur: Wie wird’s gemacht – oder noch viel wichtiger, wie wird’s gut gemacht? Und was hat es mit visueller Kommunikation zu tun?

Um die eigene Geschichte zu erzählen, braucht es auf den ersten Blick eigentlich nicht viel. Grundsätzlich muss man wissen, wer man ist und was man zu sagen hat bzw. was man vermitteln möchte. Läge der Fokus nur auf dem Anbieter und seiner Marke, hätte es sich damit erledigt. Nun ist es aber so, dass es beim Storytelling darum geht, eine Beziehung zum Kunden aufzubauen.

Beziehungen sind und bleiben emotionale Bindungen, die man eingeht oder eben nicht. Die Geschichte, die Sie respektive Ihre Marke erzählt, muss also berühren und gleichzeitig Ihre Werte, Überzeugungen und Visionen authentisch transportieren. Spätestens ab hier wird klar: Storytelling bedeutet viel konzeptionelle Arbeit!

Bild oben: Ein kleiner kommunikatorischer Geniestreich, der in eine Liebesbotschaft gehüllte Kuss (das Praliné – il Bacio Perugina). Doppelt genial, da sinnlich erlebbar. Man schickt seiner/m Liebsten einen kleinen Genuss von süssem Geschmack mit Botschaft und das Ganze in kleinem, mit Sternen bedruckten Silber-Papier.

Am Beispiel der italienischen Modemarke Luisa Spagnoli lässt sich exemplarisch der konzeptionelle sowie der praktische Teil des Storytellings aufzeigen.

Die Gründerin, deren Name das Label trägt, Luisa Spagnoli, wurde 1877 im italienischen Perugia als Tochter eines Fischhändlers geboren. Ihre bemerkenswerte Erfolgsgeschichte beginnt zunächst mit der Gründung einer Süsswarenfirma, gemeinsam mit Giovanni Buitoni im Jahre 1907. Besagte Süsswarenfirma übersteht unter ihrer Führung nicht nur den ersten Weltkrieg, sondern bringt 1922 pünktlich zum Valentinstag auch ein Haselnuss-Praliné, eingewickelt in eine Liebesbotschaft hervor: il Bacio Perugina. Das Praliné entwickelte sich zum absoluten Exportschlager, und bald wurde aus der kleinen Fabrik ein Unternehmen von über 100 Mitarbeitern.

An diese Erfolgsgeschichte knüpfte Luisa wenig später im Jahre 1928 an, indem sie ihre nächste Firma gründete: Nachdem sie zwei Angora-Hasen geschenkt bekam, bemerkte sie deren weiches Fell und fing an, die Kaninchen zu kämmen. Mit den daraus gewonnenen Haaren entwickelte sie als erste Modeschöpferin Angora-Garn respektive Angorawolle zur Herstellung hochwertiger Strickkleidung: Die Modefirma Luisa Spagnoli war geboren!

Bis heute gilt Luisa Spagnoli als eine treibende Kraft der Industrialisierung Italiens und als Galionsfigur der Emanzipation. Diese aussergewöhnliche Geschichte einer aussergewöhnlichen Frau ist bis heute die DNA der Modemarke Luisa Spagnoli. Die Zeitlosigkeit der Traditionsmarke manifestiert sich in einer wesentlichen Botschaft: Selbstbestimmte, elegante Femininität im Alltag der dynamischen Frau. Die Marke zeichnet ihre Kundin als eine Frau mit Kopf und Herz, standfest und selbstbewusst.

Dies zieht sich durch den gesamten Markenauftritt. Die visuelle Kommunikation leitet sich aus dem Konzept der skizzierten Geschichte ab. Dabei lässt sie Raum für Emotionen und gibt dem Gemeinten gleichzeitig eine Form. Die visuelle Kommunikation ist klar genug, um die angestrebten Gefühle hervorzuheben und gleichzeitig vorteilhaft ungenau, um der Betrachterin / Gesprächspartnerin genug Platz für ihre eigene Interpretation zu lassen und ihr damit eine Wahl zu bieten.

Von den verschiedenen Werbekampagnen bis hin zum einheitlichen Ladenkonzept aller 153 Boutiquen weltweit: Luisa Spagnoli hat einen «Total Look» und bietet diesen
nicht nur in Form von Kleidung und Accessoires an, sondern lädt ihre Kundin in ein weibliches Universum – das Luisa Spagnoli-Universum ein, in welcher die Kundin ihre eigene Stimme finden und kommunizieren kann. Das Ganze mit Herz. Schaut man sich beispielsweise das Logo etwas genauer an, scheint ein kleines Herz Vorname und Name zu verbinden – ein Bild, das Bände spricht.

Seraina Winkler
Winkler Kommunikation
www.winklercom.ch

Bild unten: Cover der im Jubiläumsjahr 2018 erschienenen Monografie. Das Buch enthält die Geschichte und Entwicklung der Marke, inklusive zahlreicher Fotografien und Marketingkampagnen aus dem Luisa Spagnoli-Archiv. Illustrationen, René Gruau für Luisa Spagnoli 1956.