12.01.2022, von Carl-Philipp Frank

Ein Plädoyer für den Überfluss

Spätestens diese Woche hat der Ernst des Lebens für die meisten Zeitgenossen wieder begonnen. Goodbye Festtage, hello brutale Realität. Aus ist es mit dem geniessen, jetzt muss wieder geliefert werden. Das ist auch gut so. Aber ein paar Tage Überfluss im Jahr müssen eben auch sein: Ein Plädoyer.

Einfach einmal vorweg für diejenigen, die uns jetzt blöd kommen von wegen Wasser predigen (Nachhaltigkeit) und Wein trinken (Überfluss????): Pragmatismus, Baby! Es ist 2022, und ein bisschen Heuchlerei darf man sich ruhig einmal gönnen. Ich kann ja auch für einen freien Markt, aber gegen Kokainhandel sein. Nun aber zur eigentlichen Materie. Ich möchte nun, ganz wissenschaftlich, aufzeigen, weshalb übermässiges Konsumieren während der Festtage ganz ok ist. Dafür habe ich mir ein paar Argumente ausgedacht, die in meinem Kopf eigentlich recht sinnvoll erscheinen. Ob sie das auf Papier auch sind, werden wir sehen.

1 – Wir haben’s uns redlich verdient

Zugegeben, das Argument beruht auf der Annahme, dass wir den Rest des Jahres ganz brav und moderat leben. Aber so abwegig ist das ja nicht. Ich kann mich zum Beispiel nicht erinnern, wann sonst es zum Znacht einen fetten Truthahn mit Bratensauce gibt. Mit Vorspeise und einem Dessert, das kalorienmässig mit amerikanischen Milkshakes mithalten kann. Dazu kommen Cüpli, Wein und Digestif. So etwas ist ja wirklich nicht alltäglich. Man könnte die Festtage gar als Cheat Day für das ganze Jahr anschauen. Es hat fast schon Ähnlichkeiten mit Hundedressur: Wenn Fido brav war, gibt’s ein Gutzi. Wenn wir brav waren, gibt’s ein sündhaftiges Jahresende. Aber es geht hier ja nicht nur ums Konsumieren. Interessant ist ja auch die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Die glücklichen unter uns, die dann Brücke machen können, nutzen diese Tage hoffentlich zu ihrem Besten. Ausschlafen. Endlich einmal das Buch fertiglesen, das man im April begonnen hat. Netflix leerschauen. Das ist dann Freizeit im Überfluss. Die hat man ja auch nicht allzu häufig. Man krampft ja ständig.

2 – Das Leben wär sonst ja langweilig

Einer der ersten betriebswirtschaftlichen Ansätze war der Taylorismus. Er besagte im Grundsatz, dass der Arbeiter faul, dumm, und nur durch Geld zu motivieren war. Henry Ford erfand daraus die Fliessbandarbeit: Extrem monotone, aber okay bezahlte Arbeit. Es funktionierte ganz gut. Etwa zwanzig Jahre später kam dann der nächste Ansatz: Human Relations. Es stellte sich heraus, dass man noch besser arbeitet, wenn man am Wochenende frei hat. Wenn man Znünipausen machen darf. Wenn die Woche von 70 auf 60 Stunden reduziert wird. Bedingungen sind offenbar wichtig. Das gilt aber nicht nur in der Betriebswirtschaft. Es ist unbestritten, dass wir in der Schweiz sehr privilegiert sind, was Lebensqualität, Rechte usw. angeht. Trotzdem kann einem die Monotonie des Alltags ganz schön zusetzen. Feste wie eben Weihnachten oder Silvester bringen Farbe in die graue Realität. Und da wäre es doch schade, wenn man sich dort zurückhalten muss. Wenn man schon in den Stall darf, warum nicht gleich die Sau rauslassen?

3 – Die Geschichte gibt uns Recht

Wisst ihr eigentlich, wieso Weihnachten am 25. Dezember ist? Ja, klar, Jesus und so weiter. Weitaus weniger bekannt ist, dass das Datum übernommen wurde. Zuvor war der 25. Dezember nämlich der Geburtstag des römischen Sonnengottes Sol, später auch Mithras genannt. Und dieser wurde festgelegt, weil der 25. Dezember gemäss Julius Caesar der kürzeste Tag im Jahr war. Die Idee war dann, dass von diesem Tag an die Tage wieder länger werden, das Licht wieder mehr, das Leben wieder besser. Klingt doch nach einem Grund zum Feiern. Der Kult um besagten Mithras erschuf die Legende, dass Mithras das ganze Jahr über einen Stier jagt, um ihn zu opfern. Er kommt ihm immer näher, bis er ihn am 25. erschlägt. Kurz davor wird die Stimmung immer gereizter, die Spannung steigt, die Menschen werden ungemütlich. Zum grossen Finale, dem Opfer, werden dann alle happy und feiern. Kleine Anekdote am Rande.

Wirklich wissenschaftlich war das nicht, ich geb’s zu. Aber vielleicht habe ich ja doch dem einen oder anderen das schlechte Gewissen ein wenig vermindert. Aber jetzt heisst es wieder mit Schwung an die Arbeit. Mit Vorfreude auf das nächste Fest. Mit ganz viel Überfluss.