11.05.2021, von Carmela Crippa

Das «Millennial»-Phänomen: eine Verallgemeinerung

Als gelehrte Archäologin würde ich mich einfach als Homo Sapiens definieren, doch die Wissenschaft und Medien haben für die Vertreterinnen und Vertreter meiner Generation die viel aufregenderen Begriffe «digitale Eingeborene» und «Jahrtausender» geschaffen. Unsere Vorliebe für Stereotypen hat uns so weit gebracht, an typische Eigenschaften dieser Generation Y zu glauben: mit dem Internet aufgewachsen, gut ausgebildet, strebt nach professionellem und persönlichem Ausgleich, macht sich mehr und schneller selbständig, denkt nachhaltiger, konsumiert digital, usw. Ob mein «Y-Pendant» aus Japan oder Amazonien diesem Profil entspricht, ist fraglich. So viel eben zum Thema Stereotypen.

Doch Unternehmen, Institutionen und Regierungen bemühen sich, diese Altersgruppe mit den verschiedensten auf diese Eigenschaften abgestimmten Angebote in ihren Bann zu ziehen. Attraktive Steuer- oder Mietreduktionen sollen sie in verlassene Täler bringen, wo sie sich mit nachhaltigen Yogamatten fit halten und ihr frisch aufgebautes Vermögen anstatt in Bitcoins in regionale Förderungsprojekte investieren.

Aber auch da gibt es Ausnahmen. In meinem Dorf zum Beispiel werden die Informationen zu lokalen Anlässen oder Neuheiten nicht übers Internet oder die sozialen Medien publiziert, sondern in der monatlichen Ausgabe der Dorfzeitung. Dort erfährt man, wann die Coiffeuse aus den Ferien zurück ist, welche Wohnungen gerade vermietet und besichtig werden können und wo das nächste Treffen des Frauenvereins stattfindet. Die Vernetzungen geschehen nicht auf LinkedIn oder Facebook, sondern auf dem Dorfplatz. Ein Bioladen mit regionalen Produkten gibt es nicht, der Coop ist ja in 5 Minuten mit dem Auto erreichbar. Die Grünabfuhr beschränkt sich auf Gartenabfälle, Speisereste sind strikt verboten. Welche 30-jährige Jahrtausenderin möchte denn hier wohnen gemäss typischem «Millennial»-Profil?

Genau die Art von Leuten, die eben nicht in einfache Kategorien gesteckt werden will und die nicht erwartet, dass sich ihre Umgebung an ihre hippe Lebensweise anpasst. Die Art von Leuten, die sich nicht über die Skepsis der Eingeborenen gegenüber Neuankömmlingen empört. Wieso denn auch? Schliesslich ist eine kleine Dosis Misstrauen nur Ausdruck eines menschlichen Urinstinkts und Teil der (Erfolgs)Geschichte des Homo Sapiens.

 

Ein Beitrag von Carmela Crippa, unserem Quoten-Millennial