Nutri-Score: der Dreifachblender – Aller schlechten Dinge sind drei
Der deutsche Ernährungswissenschaftler und Buchautor «Intuitiv Intervallfasten» Uwe Knop ist davon überzeugt, dass die Verampelung von Lebensmitteln ein «gefährlicher» Akt ist und die Verbraucher mehr verwirrt als aufgeklärt werden.
Ein moderner Öko-Calvinismus
Der Nutri-Score ist ein Paradebeispiel der «Geheimregierung» des modernen Öko-Calvinismus, das klar macht: Heutzutage dominieren postfaktische Forderungen, die aus ideologischen Gründen umgesetzt werden, um dem Druck der Neopuritaner nachzugeben und im Lichte der öffentlichen Wahrnehmung als «Förderer der Gesundheit» zu glänzen – die jedoch in keiner Weise einen wissenschaftlichen Nachweis erbringen werden, dass sie der Bevölkerung auch nur ein My mehr Gesundheit bringen. Im Falle des Nutri-Score: Ganz im Gegenteil, denn diese Verampelung von Lebensmitteln ist ein durch und durch dreifach «gefährlicher» Akt. Nicht nur, weil es die Verbraucher mehr verwirrt als dass es sie aufklärt, sondern:
- Die Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel ist weder wissenschaftlich vertretbar noch empfehlenswert.
- Der Nutri-Score führt dazu, dass der Verbraucher für weniger Lebensmittelqualität mehr Geld bezahlen wird.
- Die Ampelkennzeichnung wird zu einer neuen Form von Essstörungen führen: Diese Scorektiker sind das Ergebnis, wenn moderate Orthorektiker (Menschen mit einem extremen Essverhalten) «ontop» eine ausgeprägte Rotpunktfurcht entwickeln.
Ein Detail: Für die avisierte Einteilung in ein Punktesystem fehlt jegliche wissenschaftliche Grundlage. Diese Werte basieren nicht auf (Kausal-)Evidenz, sondern auf der Freigeistigkeit findiger Forscher, die sie al Gusto eminenzbasiert festgelegt haben (d.h. sich kraft ihrer Autorität über eine gut begründete Empfehlung oder Lehrmeinung hinwegsetzen; Anm. d. Red.). Allerdings gibt es keinen Beleg dafür, dass irgendein roter Punkt tatsächlich eine Gesundheitsgefahr darstellt. Die Einteilung ist also absolut willkürlich. Ausserdem haben die Punkte die gleiche Farbe wie eine Ampel, Damit ist klar, dass der Mensch sie intuitiv mit dem Ampelsystem verbindet. Grün ist toll, da habe ich freie Fahrt. Bei Rot verliere ich den Führerschein, das ist gefährlich und böse. Das nutritive Ampelsystem suggeriert etwas Ähnliches, dabei ist das alles nur Fantasie.
Derzeit vergeht kaum ein Tag ohne neue Meldung, dass erneut ein Unternehmen ankündigt, schon bald den Nutri-Score einzuführen – natürlich nur der «gesunden» Ernährung wegen, sodass die Verbraucher «auf einen Blick erkennen können, wo die gesündere Alternative» im Regal zu finden ist. Doch das ist alles nicht mehr als ein ganz schwacher Kotau (ehrerbietiger Kaisergruss in China) vor der omnipräsenten
Ernährungspolizei und den moralinsauren Gesundheitsaposteln.
Dieses Kategorisieren ist Nonsens
Es gaukelt den Menschen vor, es gebe eine Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel. Im Grunde konterkariert man das eigene System, denn die sieben grossen ernährungswissenschaftlichen Fachverbände konstatieren klar und unisono: Die Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel ist weder wissenschaftlich vertretbar noch empfehlenswert. Diese strikte Kategorisierung ist Nonsens.
Füllstoffe statt Zucker
Und dann gibt es noch einen weiteren wesentlichen Punkt. Die Industrie wird sich hüten, Produkte mit vielen roten Punkten auf den Markt zu bringen. Um gelbe und grüne Punkte zu bekommen, wird man wichtige, hochwertige Nährstoffe aus den Rezepturen entfernen, zum Beispiel Fett, Zucker und Salz, und dafür mit Füllstoffen arbeiten, die das Produkt so aussehen lassen wie vorher. Geschmacklich werden die nutrigescorten Neolebensmittel schwach und vom Nährwert her nicht mehr so hochwertig sein wie vorher. Kurzum: Der Nutri-Score führt dazu, dass der Verbraucher für weniger Lebensmittel(qualität) mehr Geld bezahlen wird. Die Produkte werden ausgehöhlt, um in den gesundheitlich besten Bereich zu kommen. Verbraucher müssen davon mehr kaufen, damit sie satt werden. Eine Pizza, die vorher 900 Kalorien hatte, wird nur noch mit beispielsweise 600 Kalorien produziert. Vielleicht kaufen hungrige Verbraucher dann zwei davon oder essen noch etwas anderes dazu, denn erst dann sind sie satt. All diese Punkte sprechen absolut gegen den Nutri-Score. Aber die Industrie wird sich freuen. Ausnahmsweise mal wird man hinter verschlossenen Türen den Spendendrüsendrückern foodwatch und Co. dankbar sein für ihren ideologischen Übereifer, der selbst die deutsche Bundesministerin Julia Klöckner hat einknicken lassen. Last but not least: Der Nutri-Score wird ernährungssensiblen und gesundheitshörigen Verbrauchern Angst machen. Es wird mit Sicherheit jede Menge Menschen geben, die nichts kaufen, das rote Punkte hat – einfach aus Furcht davor, sich «ungesunde» Lebensmittel einzuverleiben. Der Nutri-Score wird also zu einer neuen Form der Essstörung führen: Diese Scorektiker sind das Ergebnis, wenn moderate Orthorektiker «ontop» eine ausgeprägte Rotpunkt-Aversion entwickeln. In diesem Sinne ist pro Verbraucher nur zu hoffen, dass sich viele Unternehmen nicht an die Nutri-Nötigung halten, klare Kante zeigen und ihre Lebensmittel weiterhin nur «frei von» anbieten – frei von frei erfundenen Ampelpunkten ohne jeglichen Nutzen für die Gesundheit der Menschen.
Uwe Knop
Diplom-Oecotrophologe
www.echte-esser.de
Uwe Knop ist ein deutscher Ernährungswissenschaftler und Publizist. Er studierte Ökotrophologie und analysiert seit mehr 13 Jahren wissenschaftliche Studien – unabhängig und frei von jeglicher «Ideologiebrille». Darüber hinaus veröffentlicht er Ernährungsratgeber, ist Ernährungsexperte für zahlreiche Presseberichte und hält Vorträge bei Fachgesellschaften, Unternehmen und Industrieverbänden. Er ist Gastautor bei der «Achse des Guten», bei «heise/telepolis» sowie beim Magazin «Novo» und ist Mitglied des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften.