05.08.2024, von Schweizerisches Konsumentenforum

Akzeptanz digitaler Helfer bei psychischer Belastung in der Schweiz

Digitale Anwendungen zur Unterstützung der psychischen Gesundheit und Behandlung von psychischen Problemen sind in der Schweizer Bevölkerung noch wenig bekannt. Nutzungspotential sehen die Befragten besonders für Online-Psychotherapien. Reine Online-Services wie Apps ohne involvierte Fachpersonen finden wenig Zuspruch.

Obwohl viele Menschen in der Schweiz im Umfeld oder selbst Erfahrung mit psychischen Problemen machen, sind sie zurückhaltend bezüglich digitaler Helfer für deren Prävention und Behandlung. Junge Menschen sind gegenüber digitalen Therapieformen besonders aufgeschlossen und beurteilen diese als nützlich. Eine Finanzierung von digitalen Helfern durch die Krankenversicherung befürwortet jedoch nur eine Minderheit der Bevölkerung. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Online-Befragung des Instituts intervista AG im Auftrag der Stiftung Sanitas Krankenversicherung. Die Studie untersuchte die Frage, inwiefern digitale Lösungen das Angebot an persönlicher psychologischer Beratung ersetzen oder ergänzen können.

Grundeinstellung gegenüber der Digitalisierung positiv
Für die digitale Speicherung von Gesundheitsdaten zeigen sich 72 % der Umfrage-Teilnehmer offen, und eine grosse Mehrheit würde ihre digital aufgezeichneten Gesundheitsdaten mit dem Hausarzt (84%) oder mit Fachspezialisten (63%) teilen. Für die Datenweitergabe ist Vertrauen in die Diskretion und Datensicherheit entscheidend. Eine Mehrheit (64%) verspricht sich davon eine bessere medizinische Behandlung, knapp die Hälfte (48%) sieht über die Forschung einen Nutzen für die Allgemeinheit und 44 % eine Kostenreduktion im Gesundheitssystem. Bei den 26- bis 45-Jährigen zeichnet zudem die Hälfte der Befragten eigene Gesundheitsdaten mit digitalen Trackern auf. Grundsätzlich ist die Bevölkerung einer Digitalisierung des Gesundheitssystems positiv eingestellt.

Psychische Belastung in der Schweizer Bevölkerung prominent
Die seit der Covid-Pandemie anhaltend hohe psychische Belastung der Bevölkerung zeigt sich auch in dieser Studie. Gut 40 % der befragten Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz geben an, sich in den letzten vier Wochen mittel bis stark psychisch belastet gefühlt zu haben. Unter jüngeren Personen (15 bis 25 Jahre, Generation Z) sind es mit 59 % besonders viele. Zudem geben rund zwei Drittel der Bevölkerung an, schon einmal über einen längeren Zeitraum psychische Belastungen empfunden zu haben, und 63 % haben eine betroffene Person in ihrem engen Umfeld. Ein Grossteil der Bevölkerung ist oder war somit mit psychischen Herausforderungen konfrontiert. Betroffene suchen vor allem Entlastung durch Bewegung (59%), Entspannung (57%), ausreichend Schlaf (55%) oder wenden sich an ihr soziales Umfeld (73%). Digitale Angebote werden gemäss Umfrage nur von jeder zehnten belasteten Person genutzt.

Digitale Angebote für die psychische Gesundheit wenig bekannt
Vor dem Hintergrund des aktuellen Versorgungsengpasses für psychologische und psychotherapeutische Beratung wurde die Einstellung zu vier Kategorien digitaler Unterstützung ermittelt. Deren Bekanntheit ist erstaunlich gering: Online-Selbsttests zur psychischen Gesundheit kennen 13 % der Befragten, digitale Tools zur Stärkung der psychischen Gesundheit (Prävention) 20 %, Online-Therapien zur Behandlung psychischer Probleme mit Fachleuten 13 % sowie Online-Services zur Behandlung psychischer Probleme ohne Fachperson lediglich 6 %.

Rund die Hälfte der Bevölkerung würde digitale Angebote für die Psyche nutzen
Demgegenüber wäre knapp die Hälfte der Befragten jedoch bereit, selbst digitale Anwendungen zur Stärkung der mentalen Gesundheit (Prävention), Online-Selbsttests und Online-Therapien mit Fachperson zu nutzen. Das Potential dieser Angebote für psychisch belastete Personen ist demzufolge bei weitem nicht ausgeschöpft. Von den vorgestellten digitalen Anwendungen werden Online-Therapien mit Fachperson als am nützlichsten eingeschätzt: von rund der Hälfte wird diese Therapieform als nützlich beurteilt, bei jungen Menschen bis 25 Jahre sogar von zwei Dritteln. Gefordert werden dafür eine geprüfte Wirksamkeit und hohe Datensicherheit sowie für Online-Therapien qualifizierte Therapeuten.

Empfehlung durch den Hausarzt würde Nutzungsbereitschaft stärken
Als Nutzungsgründe für digitale Therapieangebote werden in erster Linie die Empfehlung durch einen Hausarzt oder auch durch eine Psychologin oder Psychiaterin genannt. Jede zweite Person kann sich vorstellen, Online-Therapien mit Fachperson bei Bedarf auch zur Überbrückung von Wartezeiten auf einen passenden Therapieplatz zu nutzen – insbesondere Frauen sind dafür offen. Barrieren für die Nutzung digitaler Anwendungen für die mentale Gesundheit sind vor allem das Fehlen eines persönlichen Kontakts sowie ein grundsätzlich mangelndes Vertrauen in solche digitalen Anwendungen.

Wer soll die Kosten tragen?
Grundsätzlich sehen die Befragten eine Kostenübernahme für psychologische Behandlungen beziehungsweise digitale Anwendungen durch die Krankenversicherung eher restriktiv, und Bedingung ist eine erwiesene Wirksamkeit sowie Datensicherheit. Digitale Tools zur präventiven Stärkung der psychischen Gesundheit sind gemäss 40 % der Befragten selbst zu finanzieren, die Eigenfinanzierung von Online-Therapien mit Fachperson befürworten 28 %. Online-Behandlungsservices ohne Fachperson wie Chatbot geführte Apps sollen sogar gemäss 68 % der Befragten von den Nutzern selbst gezahlt werden.

Eine Kostenübernahme durch die Grundversicherung wird am ehesten für Online-Therapien mit Fachperson begrüsst: 39 % der Einwohner der Schweiz befürworten dies. Knapp 30 % sind für eine Übernahme der Kosten für digitale präventive Tools. Online-Services ohne Fachperson gehören hingegen nur für 13 % der Befragten in den Leistungskatalog der obligatorischen Krankenversicherung.

Zur Datenerhebung
Die Daten stammen aus einer bevölkerungsrepräsentativen Online-Befragung in der Schweiz in allen Sprachregionen. Das Forschungsinstitut intervista befragte vom 22. bis 31. Januar 2024 eine nach Alter, Geschlecht und Sprachregion quotierte Stichprobe von 2009 Personen (Vertrauensintervall +/- 2.2 Prozentpunkte) im intervista Online-Panel.

 

Konsumentenforum in Zusammenarbeit mit Andrea Gerfin, Stiftung sanitas