Zwischen Profit und Umweltschutz
Es weihnachtet bald, und auch Silvester lässt nicht mehr lange auf sich warten – und Hausfrauen wie Hausmänner greifen auf ihre bewährten Weihnachtsmenu-Rezepte zurück, um ihre Lieben zu verwöhnen. Lachs, als Mousse, geräucht, graved, gedämpft, gebraten, im Ofen überbacken, als Häppchen oder Hauptgang, gehört für viele einfach dazu, denn die Zeiten, als sich Basler Angestellte darüber beklagten, dass sie zu oft Lachs essen müssten, sind schon ewig vorbei: der räuberische Meerfisch gilt schon lang als Garant für den kleinen Luxus auf dem Teller. Die grosse Nachfrage und der immer günstigere Preis produzieren allerdings Probleme, von denen die Konsumenten kaum etwas ahnen.
Die Zucht von Lachsen im Meer erfolgt hauptsächlich in Netzkäfigen, insbesondere in Norwegen, Chile und Schottland. Sie hat allerdings schwerwiegende Konsequenzen für die Umwelt und für die Tiere selbst. Parasiten, Krankheiten und Überdüngung des Meeres sind nur einige der Probleme, die damit in Verbindung stehen. Die Bedingungen in den Käfigen, die im offenen Meer hängen, begünstigen die Verbreitung von Parasiten und Krankheiten, die sich auch auf wilde Fischpopulationen ausbreiten. Dies führt zu einer Veränderung der natürlichen
Ökosysteme und belastet die ohnehin schon geschwächten wilden Fischbestände zusätzlich. Hier entlastet die Aquakultur den Druck auf die Wildbestände, wie häufig behauptet wird, gerade nicht.
Die Zuchtbedingungen für die Lachse in industriellen Meeres-Farmen stehen im Widerspruch zu ihrem natürlichen Verhalten. Sie leiden unter der fehlenden natürlichen Umgebung, der mangelnden Strömung und der Beschränkung des Bewegungsraums. Ausserdem sind Lachse Raubfische und ziemlich aggressiv: das macht sie zusätzlich ungeeignet für die Zucht. Laut der Welternährungsorganisation FAO ist die Tierdichte in den Käfigen annehmbar; es ist jedoch schwierig, dies unabhängig nachzuprüfen. In einem einzigen Netzkäfig schwimmen meist weit über hunderttausend Lachse. Die Fische können sich aber auch eng in Gruppen sammeln, was Besatzdichte und Aggression stark erhöht. Das alles führt zu grossem Stress und Leiden der Tiere und zu einer erhöhten Anfälligkeit für Krankheiten. So bedarf es viel Antibiotika und anderer Medikamente. Der breite Einsatz von Antibiotika ist ein starkes Indiz, dass etwas mit den Haltungsbedingungen nicht stimmt.
Lachse sind Raubfische und Karnivore, sie fressen also hauptsächlich andere Fische. Einige wilde Spezies, zum Beispiel die Peruanische Sardelle, werden nur deshalb gefangen, um dann Fischfutter für Lachse zu werden – die dann wiederum andere wildlebende Spezies durch Kot und Medikamentenrückstände unter den Käfigen belasten. Obwohl bei den Futtermitteln Fortschritte gemacht wurden und diese heute teilweise zu mehr als 70 Prozent pflanzlicher Herkunft sind, bleibt der Anteil aus dem Meer gewichtig.
Ein riesiges Problem der Zuchten sind die Seeläuse, welche sich am Lachs festbeissen und ihn stückweise auffressen. Diese kleinen Krustentiere ernähren sich von der Haut, dem schützenden Schleim und dem Blut des Lachses. Dies verursacht erhebliches Leid für die Fische, und das gilt ebenso für die wilden Lachse in der Nähe, die oft auch befallen werden. Es gibt drei gängige Wege zur Entlausung: Die Behandlung mit Deltamethrin etwa, ein sehr potentes und schnell wirkendes Kontaktgift, das aber auch für alle anderen Krustentiere der Umgebung wie Krill und Krebse tödlich ist. Oder die Läuse werden mit Maschinen von den Fischen gelöst, entweder durch Bürsten, Wasserdruck oder Vakuum. Dies bedeutet jedoch einen erheblichen Stress für die Lachse. Es bleibt zudem eine Verletzung der Haut zurück, an der Stelle, wo die Laus war. Diese Verletzung führt leicht zu weiteren schlimmen Infektionen. Eine weitere Methode nützt die Hilfe von Seehasen – auch Lumpfische genannt – die die Läuse von den Lachsen abfressen. Das klingt gut, ist aber auch problematisch. Die Lumpfische werden nicht gefüttert und hungern, sie fühlen sich in der Zuchtumgebung nicht wohl, und beim «Ernten» der Lachse werden sie zu Tausenden mitgefangen und meist schon vor der elektrischen Tötung von den kiloschweren Lachsen zerdrückt.
«Das Label ASC, das für eine verantwortungsvolle
Zucht stehen sollte, bietet keine Gewähr für Tierfreundlichkeit und Ökologie»
Angesichts der Herausforderungen, die mit der Lachszucht verbunden sind, ist es wichtig, dass Konsumenten informierte Entscheidungen treffen. Es gibt aber leider immer noch Missstände in Bezug auf die Transparenz und Genauigkeit der Kennzeichnung von Fisch aus Zuchten.
Auch das Label ASC, das für eine verantwortungsvolle Zucht stehen sollte, bietet keine Gewähr für Tierfreundlichkeit und Ökologie, weil es viele Ausnahmen von den eigenen Richtlinien bewilligt. Dennoch gilt generell: ein Label ist besser als keins.
Der Konsum von Zuchtlachsen kann zu einem Teufelskreis beitragen, in dem die Nachfrage nach diesen Produkten die Missstände in der Branche aufrechterhält. Mit einem weltweiten Umsatz von mehreren Milliarden Dollar, einer stetig steigenden Nachfrage und ständig neu entstehenden Märkten ist die industrielle Lachszucht sehr profitabel – obwohl sie nicht nachhaltig und für die Fische eine Qual ist. Nachhaltigere Optionen für diejenigen, die gerne Lachs geniessen wollen, sind Lachse aus Bio-Zuchten. Alternativen sind auch Forellen und Saiblinge, die einen ähnlichen Geschmack und Fettgehalt haben wie Lachs (z. B. Gehalt an Omega-3 Fettsäuren). Hier am besten auf lokale Bio-Produkte zurückgreifen. Die Bio-Richtlinien verlangen unter anderem einen natürlichen Bodengrund, relativ niedrige Besatzdichten, einen sehr beschränkten Medikamenteneinsatz und bio-zertifiziertes Futter. fair-fish, der Verein für nachhaltige und gesunde Fischerei, empfiehlt, sich bei kleinen lokalen Fischzuchten, z. B. Naturteichanlagen, selbst vor Ort ein Bild zu machen, wie die Fische gehalten werden.
Lachs aus Wildfang kann auch verantwortbar sein. Doch muss man sich erkundigen, welche Lachsart und welche Fanggebiete vertretbar sind, denn die Bestände sind häufig überfischt. Fischesser sollten bedenken, dass Fische, die in der Nahrungskette am Anfang stehen und sich vorwiegend von Plankton ernähren wie Tilapia, Heringe und Sardellen, den besseren ökologischen Fussabdruck aufweisen. Generell gilt bei Fisch, wie auch bei allen tierischen Produkten, dass sich Konsumentinnen und Konsumenten immer wieder umfassend informieren müssen, um gewissenhaft entscheiden zu können. Auch die verzehrte Menge ist entscheidend: für Natur, Tier und Mensch ist weniger mehr.
Fausta Borsani,
Geschäftsführerin von fair-fish