Artificial Intelligence – Künstler der Neuzeit?
Wenn man vor 15 Jahren Passanten nach ihrer Meinung zu digitaler Kunst gefragt hätte, hätten die meisten lachend abgewinkt. Das könne ja jeder, man müsse dem Computer ja nur sagen, was er zu zeichnen hat. Was natürlich nicht recht ist. Jahrzehntelang mussten sich Künstlerinnen gegen dieses Weltbild durchsetzen. Nur weil man am Tablet zeichnet, heisst das nicht, dass die eigene Leistung weniger wert ist. Digital Artists erkämpften sich ihren Rang in der Weltordnung hart, aber verdient. Und dann kam die sogenannte «Artificial Intelligence».
Wie bitte, was? Ja, genau. Mit künstlicher Intelligenz lassen sich Bilder aus Text generieren. Dieses Jahr sind solche Kunst-Programme wie Dall-E, artbreeder und Mijourney gross geworden. Letzteres habe ich einmal ausprobiert. Midjourney funktioniert als Chatbot auf der verbreiteten Kommunikations-App Discord. Man kann das Programm begrenzt gratis nutzen (20 Bilder), danach kann man monatlich praktisch unbegrenzt in High-Speed Bilder erstellen. Zum (nicht wirklich bescheidenen) Preis von 30.- CHF. Aber Geld beiseite, legen wir los mit der Bilderei!
Wir wollen uns einen Konsumhelden «machen». Da Midjourney aber nur auf englisch funktioniert und es den «consumer hero» ja nicht wirklich gibt, müssen wir etwas drumrum basteln. Also gebe ich «A superhero buying groceries» als Textbefehl ein. Die Ergebnisse sind nicht schlecht, aber noch weit von brauchbar entfernt. Formen sind Teils verschwommen, es ist unklar, wo Held aufhört und wo Postisack beginnt; bei einem Bild ist der Held gar der Postisack. Das Programm gibt uns jetzt die Möglichkeit, einzelne Ergebnisse zu «upscalen». Das heisst, es überarbeitet ein Ergebnis (statt vier gleichzeitig zu produzieren) noch einmal mit dem gleichen Textinput und verfeinert. Langsam lässt sich unser Held präsentieren.
Aber so ganz zufrieden bin ich immer noch nicht. Darum füge ich zum Input noch «Hyperrealism» hinzu. Wie genau die Technik dahinter funktioniert, weiss ich nicht; ich weiss nur, dass das Bild dann detaillierter wird. Tatsächlich scheint das Ergebnis detaillierter – aber so ganz hinhauen will es immer noch nicht. Aufgebe, neu beginnen. Dieses Mal nehmen wir noch «creative» als Input dazu. Damit lassen wir dem Programm mehr Freiheiten. Und siehe da: Statt des erwarteten muskulösen Mannes (warum eigentlich keine Frau? Hero ist ja Genderneutral, gell…) in Cape und Kapuze sehen wir nun einen Normalo zwischen den Gestellen. Das ist ja fast schon poetisch. Ganz à la «wir sind doch alle Helden des Alltags».
Nach gut einer halben Stunde herumprobieren lautet mein Fazit also: Krass. Die Software kann einiges, macht aber aus dem Durchschnittsbürger wie mir noch lange keinen waschechten Künstler. Klar gibt es Menschen, die genau wissen, wie man mit welchen Inputs welche Ergebnisse erhält, wie man optimisiert und so weiter. Für uns Normalsterbliche dauert das jedoch viel zu lange und kostet Nerven. Empfehlen kann ich die Gratisversion aber trotzdem allen, die einmal ihre künstlerische Ader austoben wollen, ohne wirklich eine zu haben.