10.08.2021, von Carmela Crippa

Gesteuerte Konsumverhalten oder wie Bewertungsprogramme der Spontaneität den Garaus machten.

Bewertungen und Punktesysteme bestimmen unseren Alltag. Wir verlassen uns darauf in jeder Situation und ändern unser Konsumverhalten gemäss Produktangabe oder App. Bei der stetig wachsenden Anzahl an Angeboten ist dies sicher von Vorteil, damit man im Dschungel der unendlichen Möglichkeiten an Hotelunterkünften, Restaurants oder Zahnpasten nicht völlig verloren geht. Doch als Konsumheldin kann ich mir ein paar kritische Überlegungen zu diesem Thema natürlich nicht verkneifen, insbesondere aufgrund einer persönlichen Erfahrung, die mir vor ein paar Wochen widerfahren ist.

Wochenendausflug mit einer Freundin. Nach mehrstündiger Wanderung machen wir uns mit müden Beinen auf den Weg zurück ins Hotel. Meine Freundin – nennen wir sie mal Klara – hat plötzlich unglaublich Lust auf ein Snickers. Bei der Bezahlung im Bahnhofkiosk erklärt sie der verwirrten Verkäuferin, dass sie das Snickers gratis via Helsana-App beziehen möchte. Es stellt sich heraus, dass die Krankenkasse Klara für ihr sportliches Verhalten mit einem Snickers (und keiner anderen Schoggi) belohnt. Mir stellen sich gleich mehrere Fragen: wieso wird gesundes Verhalten mit künstlichem Zucker belohnt? Wenn schon Schoggi, wieso keine Schweizer Marke? Und wo bleibt da die eigene Entscheidungsfreiheit? Hatte Klara wirklich Lust auf ein Snickers oder war sie nur von der Idee eines Schnäppchens angetrieben?

Nächster Tag. Es regnet in Strömen, doch wir geben nicht auf und erkunden die Ortschaft. Es gäbe einen Helsana-Trail (Vitaparcours) am Flussufer, ob wir nicht vorbei gehen könnten, fragt Klara. Ich bewundere sie, sei aber keine grosse Joggerin, schon gar nicht bei einem solchen Wetter, antworte ich darauf. Ach nein, wir gehen doch nicht rennen, sie brauche nur ein Foto des Helsana-Trail-Schilds, um weitere Punkte zu sammeln, meint sie. Ich versuche auf dem Weg zum Schild, den Sinn hinter dieser Aktivität zu finden, doch versage genauso erbärmlich wie mein durchtränkter Anorak an diesem regnerischen Sonntag.

Seitdem lassen mich meine Gedanken nicht mehr in Ruhe. Wo bleibt unsere Spontaneität, wenn wir nur noch gezielt auf Vorschläge von Waren- und Dienstleistungsanbietern hören? Wie unterscheiden wir zwischen natürlichem und manipuliertem Willen? Auf welche Fakten und Daten stützen sich Anbieter, die Produktbewertungen abgeben? Wie wollen wir Authentisches erleben, wenn wir alle den Empfehlungen von TripAdvisor folgen? Wenn ihr genauso nachdenklich werdet wie ich, ermuntere ich euch dazu, beim nächsten Ausflug oder Einkauf nur auf euer Bauchgefühl zu hören

 

Ein Beitrag von Carmela Crippa, die 5-Sterne-Bewertungen grundsätzlich misstraut.