Kalb-, Rind- oder Kuhfleisch?
In der Schweiz gibt es eher zu viele als zu wenige Deklarationsvorschriften. Es gibt aber einen Bereich, in dem genauere Bezeichnungen wünschenswert wären: Der Begriff “Rindfleisch” wird im Einzelhandel für Fleisch sehr unterschiedlicher Qualität verwendet. Zum einen wird unter dieser Bezeichnung tatsächlich das Fleisch von Rindern verkauft, die noch nicht gekalbt haben, zum anderen aber das Fleisch von mehr oder weniger alten Kühen.
In den meisten Ländern der Welt hält man Milchrassen zur Milchproduktion und Fleischrassen zur Fleischproduktion. Die weiblichen Tiere der Milchrassen lässt man alt werden, um dadurch den Ertrag (durch Milchproduktion und Kalbern) zu optimieren. Danach werden sie der industriellen Produktion (Tierfutter, Wurstwaren) oder gar der Verbrennung zugeführt.
Da männliche Kälber von Milchrassen oft zu wenig schnell Fleisch ansetzen und sich mit Milch immer weniger Geld verdienen lässt, gelten diese Tiere als unrentabel. Sie werden zunehmend zum Abfallprodukt. Bis zu 10’000 Kälber von Milchkühen, so schätzt der Schweizer Tierschutz, werden kurz nach der Geburt getötet, zum Teil sogar bereits vor der gesetzlich erlaubten Frist von sieben Lebenstagen. Es gibt Bauern, die kurz nach der Geburt erkrankte Tiere nicht mehr behandeln, sondern sie lieber sterben lassen, um sich ihrer so auf einfache Art zu entledigen. Das “Eintagskälbchen” droht zur Begleiterscheinung der modernen Milchproduktion zu werden.
Bei typischen Fleischrassen wie Angus, Hereford oder Limousin ergibt es wenig Sinn, die Tiere besonders alt werden zu lassen. Nach 18 bis 24 Monaten weisen die Tiere ein Lebendgewicht von gut 600 Kilogramm auf, was bei einer Ausbeute von 53% einem Schlachtgewicht von gut 300 Kilogramm entspricht. Zwar liesse sich das noch geringfügig steigern, doch würde man dazu ein weiteres Jahr benötigen. Ausserhalb von Zuchtprogrammen werden die Tiere deshalb meist geschlachtet, bevor sie kalbern.
Fleischrassen haben zudem den Vorteil, dass die zwei Qualitätsmängel DFD (dunkles, leimiges Fleisch) und PSE (blasses, wässriges Fleisch) unter normalen Haltungsbedingungen nicht vorkommen. Die Tropfsaftverluste (Verluste im frischen Fleisch) bewegen sich im tolerierbaren Bereich, und die Kochverluste sind bei den meisten Fleischrassen gering. Auf Schweizer Bauernhöfen werden jedoch kaum reine Fleischrassen gehalten. Die meisten Rinder gehören zu Milch- oder Zweinutzrassen, wobei bei der Einkreuzung in erster Linie auf die Milchleistung geachtet wird.
Kühe der in der Schweiz am meisten verbreiteten Rassen müssen oft jedes Jahr ein Kalb liefern und so lange wie möglich Milch geben. Dadurch vertrocknen die Gefässe und die Muskeln der Tiere werden hart. Nicht selten werden sie erst geschlachtet, nachdem sie mehrere Male gekalbt haben. Dann gelingt es aber selbst mit besten Mastmethoden nicht mehr richtig, die verzogenen, verschrumpften Muskeln wieder auszudehnen und mit Fett durchwachsen zu lassen. Ein in seiner besten Lebenszeit gemästeter Bulle und eine erst spät angefütterte alte Kuh weisen eine unterschiedliche Fleischqualität auf.
Wenn gut informierte Konsumenten “Rindfleisch” kaufen, wollen sie in der Regel das Fleisch von Tieren im Alter von anderthalb bis zwei Jahren beziehen. Auch die meisten professionellen Köche arbeiten am liebsten mit solchem Rindfleisch. Das bedeutet nicht, dass “Kuhfleisch”, also das Fleisch älterer Tiere, nicht auch verwendet werden kann, z.B. für Hamburger-Hack (möglichst wenig Bratverlust bei viel Geschmack und wenig Fett) oder für Sauerbraten. Ab einem gewissen Alter ist es aber wohl sinnvoll, Kuhfleisch der Wurstverarbeitung zuzuführen.
Leider ist es für Konsumenten praktisch unmöglich, aufgrund des Aussehens zu beurteilen, ob es sich um Rindfleisch im engeren Sinne oder um das Fleisch von Kühen handelt. Selbst für Fachleute ist das nicht einfach, wenn sie einzelne Fleischstücke und nicht Tierviertel mit Fleischstempel vor sich haben.
Während beispielsweise beim Schweinefleisch durch massive Geschmacksveränderungen sichergestellt ist, dass den Konsumenten kein Frischfleisch von Mutterschweinen (Moren) verkauft wird, gibt es diese Gewähr bei der mengen- und wertmässig sehr wichtigen Kategorie der Hausrinder nicht.
Wenn man bedenkt, was heute alles deklariert sein muss, so überrascht es doch sehr, dass es noch immer möglich ist, das Fleisch alter Kühe überteuert als “Rindfleisch” zu verkaufen. Bei vielen Früchten und Gemüsen wird im Supermarkt die Sorte angeben – beim Fleisch ist das meist nur bei hochpreisigen Angeboten der Fall.
Angesichts der grossen Qualitätsunterschiede wäre es sehr wünschenswert, dass das Alter und die Rasse der Tiere deklariert werden.
Es braucht zudem eine klare Trennlinie für die Begriffe Kalb, Rind und Kuh. Das würde zum einen sicherstellen, dass den Verbrauchern kein Kalbfleisch verkauft würde, das eigentlich von jungen Rindern stammt, andererseits wäre es auch nicht mehr möglich, das Fleisch von Kühen als teures “Rindfleisch” zu verkaufen.
Eine Deklarationspflicht würde zu günstigerem “Kuhfleisch” und zu einer Qualitätssteigerung von Schweizer Rindfleisch führen, der mit einem zunehmenden Umstieg auf Fleischrassen verbunden wäre. Damit würden auch ethisch fragwürdige Jungtierschlachtungen eingedämmt. Es besteht Handlungsbedarf, da in der Schweiz fast nur Milchrassen gehalten werden und die Qualit’t des Rindfleisches sehr zweifelhaft ist.
Was sagt das Gesetz?
Wo hört das Kalb auf? Wo fängt das Rind an? Wo beginnt das Kuhfleisch? Auf Konsumentenstufe existieren keine gesetzlichen Definitionen der Begriffe Kalb-und Rindfleisch, sondern höchstens unverbindliche Beschreibungen der Fleischbranche. In der Schweiz ist die Kennzeichnung von Fleisch unter anderem in der Landwirtschaftlichen Deklarationsverordnung geregelt. Die wichtigen Bestimmungen betreffen aber vor allem Erzeugnisse,die aus in der Schweiz verbotener Produktion stammen. Auch die Verordnung des EDI über Lebensmittel tierischer Herkunft hilft nicht weiter. Zwar steht dort, dass die Tierart angegeben muss, eine Unterscheidung zwischen Kalb-, Rind- und Kuhfleisch lässt sich jedoch nicht finden.
Die Schlachtgewichtsverordnung liefert ebenfalls keine Hinweise. Die Verordnung des EDI über die Hygiene beim Schlachten unterscheidet bei Tieren der Rindergattung lediglich zwischen solchen, die jünger und älter als sechs Wochen sind. Andernorts gibt es eine Unterscheidung zwischen Tieren unter und über 150 kg Schlachtgewicht.
Maurus Ebneter
Wirteverband Basel-Stadt