Immer mehr Medikamente fehlen in der Schweiz
Immer mehr Medikamente und andere medizinische Güter sind in der Schweiz nicht mehr lieferbar. Das gefährdet die Sicherheit von Patientinnen und Patienten erheblich. Diesem massiven und zunehmenden Mangel begegnet die Initiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit».
Aktuell sind in der Schweiz rund 600 Medikamente (total über 700 verschiedene Packungen) nicht lieferbar, betroffen sind über 300 Wirkstoffe, Tendenz ständig steigend. Dr. Enea Martinelli, Vizepräsident des Schweizerischen Apothekerverbandes pharmaSuisse und Chefapotheker der Spitäler FMI (Frutigen, Meiringen und Interlaken) analysiert und dokumentiert diesen gefährlichen Mangel auf seiner Webseite www.drugshortage.ch.
Für Konsumentinnen und Konsumenten bedeutet dies einerseits, dass ein gewohntes Medikament durch ein anderes ersetzt werden muss, was negative Folgen in der Therapie nach sich ziehen kann. Andererseits kann es im schlimmeren Fall zu einem echten Mangel und einer erheblichen medizinischen Gefährdung kommen, wenn kein adäquater Ersatz für ein fehlendes Medikament mehr vorhanden ist. Leider häufen sich solche Fälle in jüngerer Vergangenheit.
Betroffen sind aber nicht nur Medikamente, sondern auch andere medizinische Güter. So konnten die medizinischen Labore beispielsweise zu Beginn der Corona-Pandemie wegen Lieferproblemen bei den Entnahmesets eine Zeit lang kaum mehr Tests durchführen, womit die Ausweitung der Pandemie teilweise nicht mehr kontrolliert werden konnte.
Diese gefährlichen Entwicklungen haben ihre Ursache weitgehend darin, dass wichtige medizinische Güter der Grundversorgung, so beinahe alle Antibiotika, aus Kostengründen im asiatischen Raum produziert werden müssen. Dadurch sinkt die Liefer- und Versorgungssicherheit.
Die Preise für Medikamente werden in der Schweiz staatlich durch den Bund administriert und festgelegt. Dabei führen die laufenden Preissenkungen bei den ohnehin schon tiefpreisigen Medikamenten der Grundversorgung dazu, dass eine kostendeckende Produktion in der Schweiz oder im angrenzenden europäischen Ausland kaum mehr möglich ist.
Dann sind Firmen gezwungen, ihre Produktion in Billigländer zu verlegen oder ganz an Hersteller in solchen Staaten zu vergeben.
Erschwerend kommt dazu, dass oftmals mehrere Firmen ihre Produkte beim gleichen Hersteller im asiatischen Raum produzieren lassen müssen. Damit verdoppelt sich das Versorgungsrisiko, da bei Lieferproblemen eines einzigen asiatischen Herstellers gleich mehrere Produkte des gleichen Wirkungsspektrums ausfallen können.
Der Preisdruck auf Medikamente der Grundversorgung hat praktisch keinen spürbaren Einfluss auf Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien, gefährdet aber die Sicherheit von Patientinnen und Patienten erheblich.
Dieser Gefährdung der Versorgungssicherheit muss deshalb zum Schutz von Patienten dringend begegnet werden.
Deshalb lanciert nun eine breite Allianz aus Ärzte- und Apothekerschaft, Pharmaindustrie, Pharma-Grossisten, Labormedizin und Konsumentenorganisationen eine Volksinitiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit». Auch das Konsumentenforum unterstützt die Initiative, welche bereits der Bundeskanzlei eingereicht wurde.
Die Initiative will eine Zuständigkeit des Bundes für die Versorgung mit wichtigen medizinischen Gütern für die Bevölkerung schaffen.
Der Föderalismus in unserem Land ist in vielen Bereichen sinnvoll, nicht aber, wenn es darum geht, die Versorgungssicherheit mit wichtigen medizinischen Gütern im ganzen Land sicherzustellen.
Ferner stärkt und sichert die Initiative den Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsstandort Schweiz, ebenso die Lagerung, den Vertrieb und die dezentrale Abgabe an Patientinnen und Patienten. Dazu müssen auch genügend Vorräte vorhanden sein und bewirtschaftet werden.
Es geht aber keinesfalls um «Heimatschutz»: die Initiative fordert auch, dass in Zusammenarbeit mit dem Ausland zuverlässige Lieferketten für die Beschaffung von versorgungsnotwendigen Heilmitteln und anderen medizinischen Gütern sichergestellt werden.
Somit soll die Versorgungssicherheit durch ein optimales Gleichgewicht zwischen Stärkung des Standortes Schweiz und Sicherstellung des Importes aus dem Ausland erreicht werden.
Das erklärte Ziel der Initiantinnen und Initianten ist es, den raschen Zugang von Patienten zu wichtigen Heilmitteln in unserem Land zu gewährleisten. Denn es kann nicht sein, dass das vermeidbare Fehlen von einfachen, kostengünstigen Heilmitteln zur Gefährdung unserer Bevölkerung führt.
Die Unterschriftensammlung wird voraussichtlich im ersten Quartal des Jahres 2023 beginnen.