Hüt wird g’schlachtet – Plädoyer für einen massvollen Fleischgenuss
Fleischessen polarisiert je länger, je mehr. Skandale wie derjenige der Firma Tönnies sind in der Schweiz zwar ausserordentlich selten, doch tragen sie nicht zur Vertrauensbildung beim kritischen Konsumenten bei. Wer noch nie beim Töten eines Nutztieres dabei gewesen sei, so das Killerargument der Vegetarier und Veganer, habe kein Recht darauf, Fleisch zu verzehren. Die Einladung eines der grossen Schweizer Schlachtbetriebe, Lucarna/Macana, den Hinwiler Schlachthof im Zürcher Oberland zu besuchen, kommt da gerade recht.
„Bei uns darf jeder vorbeischauen – wir haben nichts zu verstecken“, so Sepp Marty, der Betriebsleiter. Nur Fotos dürfen keine gemacht werden. Was sich im zweistündigen Rundgang offenbart, ist zu guter Letzt grosse Hochachtung vor den Mitarbeitern. Das Betäuben durch den genau gesetzten Bolzenschuss, die anschliessende Kontrolle, ob das Tier korrekt getroffen wurde, der Halsschnitt, der das Ausbluten bewirkt – das bedingt Mitarbeiter, denen das Tierwohl nicht egal ist. Sie haben Gefühl für die Tiere, aber keine Sentimentalität. Das fällt schon dort auf, wo die Kühe, Kälber, Rinder zu warten haben: kein Gerenne, kein Stress – die Tiere sind entspannt, zum Teil sogar neugierig, wissen nicht, was auf sie zukommt. Sie sind stets abgetrennt vom Schlachtvorgang, sie sehen, hören und riechen dank grosser Ventilatoren nichts.
Geschätzte vier Minuten dauert es bis zum ersten Verarbeitungsschritt, dem Abtrennen des Kopfs, wobei das Ohr mit der Markierung am Tier bleibt: dies dient der Rückverfolgung. Denn im Schlachthof Lucarna/Macana sind jeden Tag zwei Tierärzte zugange, die die Fleischqualiät überprüfen – und zwar jedes einzelnen Tieres. Aufschneiden, häuten, Eingeweide entfernen und dann zerlegen. Die Arbeiter, welche diesen Schritt ausführen, arbeiten im Akkord: das muss man einmal gesehen haben. Im Affentempo werden Schenkelknochen und Hüftgelenke entfernt, erste grosse Teilstücke zertrennt, hochwertiges Fett, das für die Speisezubereitung weiterverarbeitet wird, oder weniger hochwertiges, das unter anderem die Kosmetik- und Pharmaindustrie benötigen, wird weggeschnitten und sauber sortiert. Ebenso werden die nicht zum Verzehr verwertbaren Schlachtabfälle korrekt in entsprechende Boxen gelagert, um abgeholt und zum Beispiel zu Tierfutter verarbeitet werden. Das braucht Kraft und Energie, und darum gibt es zwei kräftige Fleischmahlzeiten für alle Mitarbeiter. Jeden Tag. Denn nicht zu vergessen: Arbeitsbeginn ist um drei Uhr morgens; da mag man um sieben schon zulangen!
So werden also pro Schlachttag gut und gern 80 Tonnen Vieh geschlachtet. Das entspricht etwa 80 Kühen, 80 Kälbern, 50 Rindern, 400 Schweinen und 50 Lämmern. Viehankauf und Fleischverkauf sowie die gesamte Logistik werden von der Zentrale aus organisiert, von welcher aus die Besucher in die hauseigene, propere Kantine gelangen. Der Betrieb ist gross, aber trotzdem klein genug, dass jeder jeden kennt. Vertrauen haben sie in alle Mitarbeiter und in ihr Können, faire und grosszügige Arbeitsbedingungen seien im Gegenzug wichtig und richtig, sagen der Betriebsleiter und der Inhaber.
Am Ende der Schlachtkette hängen die zerteilten Tiere in den Kühlhäusern und warten auf die Abnehmer: Grossmetzgereien, welche nun den Feinschnitt machen, aber auch kleinere oder Gastronomiebetriebe, Abholmärkte und Zwischenhändler, die bereits zerteilte Fleischstücke erstehen. (Vieh-)Handel und Vertrieb machen einen guten Teil des Schlachtbetriebes aus und beschäftigen mehrere Mitarbeiter, darunter auch viele Frauen. So waren, bevor das Filet oder der Braten, die Nierli oder Milken in den Kühlwagen wandern, bereits an die sechzig Angestellte damit beschäftigt, den Konsumenten und Metzgern qualitativ hochwertige Produkte zu liefern.
Babette Sigg
Präsidentin Schweizerisches Konsumentenforum